Freitag, 26. August 2022

Chicago - III


Nach dem Debutalbum Chicago Transit Authority und Chicago II und ausgedehnter Tour wirkte die Band - lt. eigener Aussage D.Seraphine "fatigued and road-weary" , also fix und alle.. Aber "pacta sunt servanda", hilft nix, sie mussten wieder ins Studio und malochen. So probierten und experimentierten sie nach Kräften und warfen ihre individuellen Fähigkeiten in den Ring. Wenn man sich die Komponisten der einzelnen Titel anschaut, fallen mit Robert Lamm, Peter Cetera und Terry Kath die Hautpstützen des Komponierens ins Auge. Aber auch die Bläsersektion und Drummer Seraphine trugen sich ein.
Wie klingt  nun das Ergebnis der Mühen aus heutiger Sicht ( oder besser Hör)?
Vorab möchte ich bemerken, dass diese Band von ihrem ersten Auftauchen in meiner Hörhemisphäre sofort zu meinen Lieblingen gehörte(" I'm a man - 1.Album!). Also von objektiver Rezension kann im Folgenden nur bedingt die Rede sein.
Was zunächst auffällt, wenn man sich die Titelliste anschaut, ist, dass es sowohl einzelne Songs als auch Songgruppen, auch Suiten genannt, gibt. Dabei spielte auch das damalige Format der Vinylscheiben eine Rolle. Die ersten Songs kamen auf die erste Seite beginnend mit dem funkigen "Sing a mean tune kid". Hier schon glaubt man  live im Studio während der Aufnahme zu sitzen. So wird hörbar angezählt und die Band setzt akurat ein. Bei entsprechender Lautstärke  der heimischen Anlage ist man mitten im Geschehen. Anders als beim 2. Album, das im Vergleich distanzierter klingt. Aber zurück zum Musikalischen.
Es wird schnell hörbar, was die Faszination damals ausmachte, die die Band ausstrahlte: Es ist die Kombination von rockigen Riffs sowohl von Gitarre als auch Bläsersätzen, melodiösen Vocals, die auch mal kantiger werden können, Dazu die meist aggressiven Soli von Gitarrenberserker Terry Kath.
Auch jazzige Ausflüge gehörten unbedingt ins Konzept der Band, wofür meist die Bläserabteilung sorgte.
So ufert der Einsteiger auch in einem wilden Solo der Gitarre aus (Ausblende!). Der nächste Titel "Loneliness is just a word" steigt mit einem jazzigen Bläsersatz ein, das swingende bleibt durchweg erhalten, die Stimme v. T.Kath passt genau zu diesem Swing, er erdet damit das Ganze kontrastrierend zu den Westcoastchören im Hintergrund. Westcoastmäßig wird's dann in"What else can I say", eine Ballade, in der Peter Cetera schon andeutet, wohin es einige Jahre später nach Kath's tragischem Tod mit der Band hingehen sollte - in's süßlich-kitschige Poplager.
Jetzt aber die Wende zum puren Rock. "I'don't want your money" ist zu dieser Zeit mit "25 or 6 to 4" DER Chicago-Titel schlechthin, weil hier gerockt wird, was das Zeug hält. Und die Bläser die Verbindung zum Jazz dank ihrer Satzgebung nicht abreisen lassen.
Nun beginnt der erste Songzyklus mit  dem countyesken "Flight 602", viel Westcoast und Schöngesang mit Slidegitarre. Anschluss hält ein "Motorboat to Mars", ein Schlagzeugsolo auf einem Album! Heute so gut wie  ein tabu. Die 90 Sekunden vergehen aber wie im Flug(!) und der Aufschrei " I just wanna be FREE" lässt die Beinchen kaum ruhig sein. Allein die Inbrunst, mit der alle Beteiligten mittun reißt mit. Da kann man nicht widerstehen! Auch hier scharfe, exakte Bläsersätze, die eines der Markenzeichen der Band waren.
In "Free Country" zeigt die Band ein anderes Gesicht. Hier wird neoklassisch musiziert. Das Klavier beginnt, eine Flöte klingt sich hinzu, Irgendwo las ich, dass bei manchen Kompositionen der Band lydische Tonleitern die Basis stellen. Vlt. hier? Da muss ich passen. Jedenfalls gesellt sich auch ein Metallophon hinzu und die freie Entwicklung nimmt ihren Lauf.Mit einem Ende, das an PF gemahnt. Einige Klavierakkorder leiten "At the sunrise" ein, ein Westcoastsong mit mehrstimmigem Gesang uramerikanisxcher Art und dazu schönharmonische Bläsersätze, wie sie nur von Chicago kommen können. Da sind sie einfach unverwechselbar. Und wieder zählt Terry the Kath an und die Sause geht los, diesesmal mit wortlosem Gesang , akustischer Gitarre und Bläserbegleitung. Das klingt nach Urlaub, Sonne, Meer, Unbeschwertheit. Ein Postachtundsechziger sotzusagen um auch mal ein "Post" unterzubringen. Rezensionen ohne "Post" scheinen zur Zeit total "oldschool" zu sein, einfach out. Jeder, der was auf sich hält muss mindestens ein Mal "Post" verwendet haben. Ich schweife ab...
Die Flöte hat derweil übernommen und das E-Piano begleitet und der Song klingt flötig-bassig-drummig aus.
Nun kommt die Mutter um die Ecke  - "Mother". Ein E-Pianoriff bildet die Basis, vorwärts treibend. Eine Strophe wird von Robert lamm angestimmt, Bläser mischen sich ein, Break, ein rockjazziger Rhythmus wird von Gitarre und Keys gelegt, Bläsersoli improvisieren, - Break - zurück zum Lied, eine Strophe wird mehrstimmig intoniert, wieder ein Bruch, Posaunensolo, Ende: Das wirkt aber nicht zerrissen, sondern wie aus einem Guss, das muss so sein und nicht anders. 
"Lowdown" wurde komponiert von Drummer Seraphine with a little help from Peter the Cetera. ein eingängiger Song mit Hitqualität und radiotauglich. Klingt heute schon aweng gestrig. Aber nett.
Eine Stunde unter der Dusche wird im nächsten Zyklus verarbeitet. Was sich hinter dieser mystischen Botschaft verbirgt, wird dem geneigten Neugierigen hier wg. der rudimentären Englischkenntnissen des Rezensenten nicht offenbart. Jedenfalls legt sich hier Terry Kath richtig ins Zeug. Er scheint zu wissen wovon er singt... Auch hier zeigt die Band alle ihre kompositorischen und musikalischen Fähigkeiten. 
Dann gibt's überraschenderweise ein kleine Prise Lyric Ein Gedicht, vorgetragen von Robert Lamm von Kendrew Lascelles (?). 
Bedeutungsschwanger setzen Bläsaer nach, eine Flöte mit Klavierbegleitung leitet über zu einem von Bläsern bestimmten Song.Dann wird's wieder frei, es wird kakophoniert  mit Autohupen und Presslufthämmern. In den '50ern nannte man das - so denke ich mich zu erinnern -. musique concrète. Scharfe Bläsersätze holen uns wieder in die Chicagowelt zurück . Ein jazziges Trompetensolo geht einem Orgelsolo voraus, dem folgt ein Saxsolo, nun setzt Terry Kath seinen Abdruck in die Rillen, sogar sehr gepflegt kann er auch, nochmal Posaune, Bläserschläge und nochmals das Thema und das Ende mit großer Geste. 
Wir haben hier ein Album, das a) typisch ist für die frühen '70er, das sich aber b) zum größten Teil heute recht zeitlos -
 will meinen an keine Zeit angebunden - hören lässt. Es ist abwechslungsreich, dabei unverwechselbar - und deshalb eines der Besten der Band. Inzwischen hat es in meiner Liste das 2. Album überholt. Die Band wird nun 55 Jährchen alt und geht auch auf Tour. Ein neues Album gibt es auch. Es ist Zeit sich zumindest der ersten 5,6 Alben zu widmen.